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Ortsumfahrungen - notwendig oder überflüssig? - 01.02.2024

Die geplante Ortsumfahrung von Berg wird im Ort heiß diskutiert. Beide Lager haben in den vergangenen Wochen ihre Argumente dargelegt. Jetzt hat der BUND Naturschutz seine Mitglieder und alle Interessierten zu einem informativen Abend eingeladen. Als Referent konnte Gernot Hartwig gewonnen werden. Er ist der Sprecher des Landesarbeitskreises Verkehr im Verband und seit vielen Jahren mit der Problematik vertraut. Durch seine langjährige Arbeit im Gemeinderat kennt er die Zwänge in den Gemeindeparlamenten. Unter den Zuhörern war auch Bergs Bürgermeister Peter Bergler, mit dem es immer wieder angeregte Diskussionen gab.

An den Anfang stellte der Referent die Aussage, dass die Anlieger der Staatsstraße 2240 ein Recht auf Entlastung von zu vielem Verkehr hätten. Eine Umgehungsstraße ist geplant und deren Auswirkungen sind ganzheitlich zu betrachten. „Was man liebt, asphaltiert man nicht“ stand auf dem ersten Bild und das Recht auf Mobilität beinhaltet kein Recht auf Heimat- und Naturzerstörung. Die Politik muss Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Mobilität liefern. Denn Hitzewellen, Waldbrände, Starkregen, Ernteeinbußen und Wirbelstürme zeigen, dass es eilt! Die Natur lässt sich nicht mit Talkshow-Geschwätz, tölpelhaftem Ausgleich und Bäume-Umarmen überlisten. Beim Amtsantritt schwören alle Politiker „Schaden vom Volk abzuwenden“ und sie sollten es auch konsequent tun. In Zeiten sinnloser Transporte und Reiselust ist es nicht mehr zu verantworten, für eine „Leichtigkeit des Verkehrs“ zu planen. Gebraucht werden langsamerer und weniger Verkehr statt noch mehr Straßen und Ortsumfahrungen. Die Wachstumsideologie geht jetzt schon zu Lasten des Wohlstands, und irgendwann beschädigt sie auch Demokratie und Rechtsstaat. „Das wollen wir nicht, denn wir lieben beides“, so der Referent.

Er zeigte Verständnis für die Anlieger angesichts von 12000 Kfz pro Tag. Er kennt die Lärm- und Abgasbelastung, wohnt er doch selbst an einer Staatsstraße mit 10000 Kfz/Tag. Es wundert ihn nicht, dass viele Berger für die Ortsumgehung sind, wenn man ihnen nur diese Lösung anbietet, anstatt sich um weniger Verkehr zu kümmern. Er versteht aber auch die Gegner, denn Klimawandel und Artensterben sind nicht wegzudiskutieren. Es ist seiner Ansicht nach aber schamlos, nur mehr Straße anzubieten, wenn alle weniger Verkehr wollen.

Gemäß den vorliegenden Verkehrsgutachten kann eine Umfahrung nicht einmal die Hälfte des heutigen Verkehrs verlagern. Diese Entlastung kann mit anderen Maßnahmen aber kostengünstiger gleichwertig erreicht werden.

Der Referent erläuterte, dass sein Gemeinderat 2011 mit 18:2 Stimmen eine Ortsumfahrung von Buttenwiesen beschloss! Was sollte er tun? Den klaren Beschluss anerkennen oder ihn als BN-Vorstand ablehnen? Der deshalb geforderte Bürgerentscheid lehnte schließlich die Umfahrung ab und die Ortsdurchfahrt wurde saniert und beruhigt. Der Staat trug die Kosten und 30 ha Äcker, Wiesen und Biotope wurden gerettet!

Hartmann begrüßte das Bürgerbegehren in der Gemeinde Berg als legitimes, demokratisches Mittel. Er mahnte die Verantwortlichen, an kommende Generationen zu denken und für Mobilität mit Natur-, Klima- und Flächenerhalt zu sorgen, denn sowohl das Grundgesetz als auch die Bayerische Verfassung verpflichten dazu.

Konservative politische Kräfte setzen aufs Kfz und vernachlässigen dabei ÖPNV und Schiene auf dem Land. Dieselölverbilligung, Dienstwagenprivileg und Entfernungspauschale sind der falsche Weg. Straßenzubau löst nicht die Probleme Lärm, Abgas, Zerschneidung, Klima, Kosten. Die amtlichen Trendprognosen stammen aus den Denkweisen des vorigen Jahrhunderts. Dass es auch anders geht, zeigen Vorgaben aus Vorarlberg/Schweiz. Dort konnte die Verkehrsmenge rapide gesenkt werden.

Auch bei uns gibt es erfreuliche Beispiele. Mit Innenminister Herrmann wurden bereits vor 10 Jahren drei Modellversuche vereinbart. Das jüngste Projekt konnte im vergangenen Jahr zusammen mit dem bay. Verkehrsminister Bernreiter in Unterrödel eingeweiht werden. Geringeres Tempo, lärmmindernder Belag, Fußgängerampel, betonter Ortsanfang verschwenkte Mittelinseln, stationäre Geschwindigkeitsüberwachung, barrierefreie Querungshilfen, breite Fußwege, abgesenkte Bordsteine und ein überdachter Bushalt mit Sitzgelegenheit sind Möglichkeiten für Lärmreduzierung, größere Sicherheit und mehr Komfort. Wer nimmt schon gern den Bus, wenn er davor im Regen stehen muss? Die Bürger von Unterrödel konnten selbst viele Anregungen in die Planung einbringen, was zu großer Akzeptanz führte. Viele weitere Möglichkeiten wurden aufgezeigt und eines war dem Referenten besonders wichtig: eine gute Planung will Alternativen und Bürgerbeteiligung, stellt den Mensch in den Mittelpunkt, erhält landwirtschaftliche Fläche, Natur, Naherholung und denkt an den zukünftigen Mobilitätswandel.

Bei Fernstraßen ist laut Verkehrsgesetz auch im Ort weiterhin die „Leichtigkeit des Verkehrs“ verbindlich. Doch Gesetze lassen sich ändern und der Deutsche Gerichtstag und bereits mehr als 1000 Kommunen wollen das. Der Deutsche Bundestag beschloss dies vor drei Monaten, aber die Änderung kann nicht in Kraft treten, weil sich der Bundesrat unter Federführung Bayerns querlegte.

Viele weitere Anregungen gab es für die 50 Teilnehmer, vom Bürgermeister über die BN-Mitglieder bis zu den Vertretern der BI. Das Angebot von Gernot Hartwig zu einem gemeinsamen Besprechungs-Termin bei Verkehrsminister Christian Bernreiter wurde von BM Bergler begrüßt, ebenso vom BN und der BI.

Hartwig empfahl der Kommune, die Ortsumfahrung nicht weiter zu verfolgen, da die Baukosten extrem hoch wären, Folgekosten nicht ausblieben, eine Umfahrung von Berg durch die A3 bereits existiert. Diese sei viel schneller und erzielt eine gleichwertige Anliegerentlastung. Der Natur- und Flächenerhalt sowie die wegfallende Mehrbelastung der Nachbarorte Oberölsbach und Richtheim/Loderbach sind weitere gewichtige Gründe. (ag)